„Dischpleter gießen“
Kunsttechnologische Studie zu einem Herstellungsverfahren für farbige Steinimitationen aus Holzspänen
Steinimitationen aus farbigen Holzspänen
Die drei sogenannten „Kunstbücher“ des Tegernseer Benediktinermönchs Wolfgang Seidel (1492-1562) gehören zu den frühesten Belegen für die systematische Erfassung von technologischem Wissen. In einem langfristigen Forschungsprojekt mehrerer Hochschulen wird seit einigen Jahren von unterschiedlichen Autoren an der Edition der Handschriften gearbeitet. Die Rezepturen werden transkribiert, übersetzt und durch technologische Kommentare erläutert. Detailierte Informationen zum Forschungsprojekt und zum Wissenschaftlerteam finden sich im Artikel „Wissen im 16. Jahrhundert: Die Kunstbücher des Benediktiners Wolfgang Seidel“, in den Beiträgen zur Erhaltung von Kunst- und Kulturgut, Band 1/2017. Die um 1550-1560 in Tegernsee entstandene Handschrift beinhaltet neben dem hier behandelten Text eine Vielzahl weiterer technischer Anweisungen und Rezepte aus verschiedenen Gattungen der Kunst und des Kunsthandwerks. Die Anweisung mit dem Titel „Dischpleter giessen“ findet sich auf der Vorder- und Rückseite von Folio 135 des „Kunstbuchs lI: Von manigerlai Handwerckskünsten“. Ein Digitalisat der Handschrift kann auf der Website der Bayerischen Staatsbibliothek eingesehen werden. Der Text lautet wie folgt:
„Dischpleter giessen
So nimb ain zainhobel. vnnd hobel spen damit ab. von ahorn. vnd von lindem. holtz. ana. vnnd lass ferben bei einem ferber. was farb du wild. auch hobel von einer tafel spen. die tafel aber mues Bleýe sein. vnnd muessen auch mit aim zainhobel. gehoblet sein. vnnd misch darnach die span durcheinander. darnach veruasse das pret mit leisten. vnnd berait den leim wie das kalbs pluet. musche auch vnnder den leim kalbs pluet. vnnd nimb vngeleschtn kalch. vnnd thue wasser daruber. vj tag. vnnd darnach vnnder denselben. iiij lot Salarmoniackh gethan. vnnd mit dem wasser. vnnd pluet den leimgestossen. vnnd darnach auf die spen gegossen. vnnd ain deckhl damit dus pressen wild. das muess sein wol mit Jnslut geschmirbt. damit der leim nit daran cleb. Vnnd wo es dann an etlichen ortn noch lecher het. waist im wol zehellffen. vnnd mues geschehen. ee. vnnd der leim gar druckhet ist. vnd darnach auch wol. Darnach wanns nun gedruckhnet ist. so muestu es mit aim khlainen zainhobel hipsch abhobeln etc.“
Seidels Text ist nicht nur die älteste Anweisung zur Herstellung einer Spänemarmorierung, sondern muss als das einzig überhaupt bekannte Rezept dieser Dekorationstechnik angesehen werden. Der Text ist auch insofern von besonderer Bedeutung, da er relativ früh nach dem ersten Aufkommen der Technik um 1500 in Oberitalien niedergeschrieben wurde und aus der Hochzeit der Verwendung des Spänemarmors in Tirol und im süddeutschen Raum stammt.

Die praktischen Versuche
Im Rahmen eines kunsttechnologischen Projekts an der Hochschule für Bildende Künste Dresden befasste sich Florian Albrecht mit Studien zur Spänemarmorierung nach der Anleitung aus Wolfgang Seidels Kunstbuch II. Ziel der praktischen Versuche war es, herauszufinden, ob mit Seidels Anweisung tatsächlich authentische Spänemarmorierungen hergestellt werden können und in wie weit die erzielten Ergebnisse mit originalen Marmorierungen aus dem 16. und 17. Jahrhundert vergleichbar sind.
Holz und Blei
Zur Herstellung der Holzspäne werden vom Autor Ahorn und Linde benannt. Der Terminus „von lindem holtz“ könnte aber auch lediglich eine allgemeine Charakterisierung brauchbarer Holzarten sein. Das im Süddeutschen heute noch gebräuchliche Adjektiv „lind“ bedeutet so viel wie „zart“, „fein“ oder „weich“, was auf die grundsätzliche Eignung weicher oder fein gemaserter Holzarten hinweisen würde. Bemerkenswert ist der Einsatz hangehobelter Bleispäne, die feine Lichtreflexe in den Marmorierungen erzeugen.

Das Färben
Das Färben der Holzspäne wird in der Anweisung ausdrücklich erwähnt, wobei geraten wird, sie von einem Textilfärber in beliebige Farbtöne einfärben zu lassen. Die Holzfärberei stand in dieser Zeit noch in einem Anfangsstadium, so dass die Holzhandwerker zur Erzielung blauer Farbtöne auf die Erfahrungen der Tuchfärber in der Küpenfärberei mit Indigo zurückgriffen. Für grüne Farbtöne nutzte man außerdem die in der Natur vorkommende blaugrüne Verfärbung von Pappelholz, die durch den Befall von Pilzen der Gattung Chlorociboria hervorgerufen wird.
Blut und Lauge
Das Bindemittel, mit dem Holz- und Bleispäne untereinander verklebt werden soll, enthält laut der Anweisung neben Proteinleim auch Rinderblut sowie Zusätze von Sumpfkalk und Ammoniumcarbonat.
Durch die Studien konnte gezeigt werden, welche Funktion die einzelnen Bestandteile der Klebemittelmischung besitzen. Das Hauptklebemittel ist der Proteinleim, welcher durch den Zusatz von Blut weniger feuchteempfindlich wird. Blut muss zur Verwendung als Klebe- oder Bindemittel jedoch mit Alkalien vorbehandelt werden. Diese Aufgabe übernehmen der Sumpfkalk und das Ammoniumsalz. Außerdem bewirken diese, dass der bei Raumtemperatur eigentlich gelartig feste Proteinleim sich verflüssigt und dadurch erst richtig verarbeitbar wird.
Das Pressen
Das Rezept beschreibt eine Variante der Spänemarmorierung, bei der die Späne-Leim-Mischung als flächige Beschichtung direkt auf ein mit Leisten eingefasstes Brett aufgepresst wird. Die Herstellung dieser Form wird nur kurz mit „darnach veruasse das pret mit leisten“ beschrieben.

Die Ergebnisse
Die praktischen Studien zeigten, dass anhand der Anweisung Wolfgang Seidels Marmorimitationen hergestellt werden könnern, die mit den Originalen aus dem 16. und 17. Jahrhundert vergleichbar sind. Durch die Verwendung verschiedenfarbiger, zum Teil künstlich eingefärbter Späne und anderer Materialien wurden vielfältige farbige Effekte erzielt, die so auch an den historischen Vorbildern anzutreffen sind.
Die Funktionen der verschiedenen in der Rezeptur genannten Materialien konnten erforscht, ungenaue oder fehlende Angaben zur Menge der einzelnen Zutaten und nicht genannte Details der Verarbeitung empirisch ermittelt werden. Die basischen Zusätze der Bindemittelmischung sind von besonderer Bedeutung. Sie verhindern das Gelieren des Leims und ermöglichen so eine maximale Verdichtung und Verklebung der Späne, wodurch letztlich ein stabiler Werkstoff entsteht.
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